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Die Scheinargumente der Provisionsverkäufer

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In der Diskussion ‚Provisionsberatung vs. Honorarberatung‘ werden von Provisionsverkäufern immer wieder die gleichen Scheinargumente und falschen (unausgesprochene) Annahmen vorgebracht. Und weil es über 220.000 von diesen Verkäufern gibt und nur 600 Honorarberater, ist es nicht möglich, darauf immer wieder neu einzugehen.

Daher hier eine Übersicht:

 

1. „Viele Kunden können sich Honorarberatung nicht leisten, und würden ohne Provisionen keine Beratung bekommen. Provisionen sind sozial und helfen Geringverdienern. Ohne diese Gleichberechtigung würden viele Bürger ohne Beratung dastehen, und nicht vorsorgen. Das würde zu Massenarmut führen.“

– Ein immer wieder gerne von der Finanzlobby vorgebrachtes Scheinargument, das gut funktioniert, weil es sich auf den ersten Blick plausibel anhört.


Mal abgesehen von der Ironie, dass sich eine der profitabelsten und kapitalistischsten Branchen der Welt als Beschützer der Schwachen darstellt,


beruht es auf folgenden Annahmen, die sich bei näherer Betrachtung als falsch herausstellen:


a. „Beratung (unabhängig von Provision oder Honorar) ist (an sich) gut und die verkauften Produkte helfen dem Kunden.“


– viele Provisions-Produkte wie Lebensversicherungen, Riester und Rürup sind teuer, unrentabel und unflexibel. Es wird implizit unterstellt, den Kunden würde dadurch geholfen werden. Allerdings wären Kunden in der Tat oft bessergestellt, wenn sie nichts gemacht, oder ohne teure Produkte privat gespart hätten. Beratung kann in diesem Fall also durchaus auch schädlich sein.


b. „Kunden die sich keine Beratung leisten können, machen nichts und sorgen nicht fürs Alter vor.“


– es gibt keine Daten, dass Bürger in Ländern mit Provisionsverbot in Altersarmut verfallen (wenn doch, bitte schicken, ich würde mich sehr dafür interessieren!). Ganz im Gegenteil, Studien (z.B. der Uni Regensburg) ergeben, dass die Renditen für Anleger in diesen Ländern um 1,5-2,0% höher sind. Auch das durchschnittliche Nettovermögen in UK und Niederlande ist deutlich höher als in Deutschland. Die Bürger dort sorgen auch vor; es ist ein Mythos, dass sie von Provisionsverkäufern mit Riesterverträgen ‚gerettet‘ werden müssen.


c. „Provisionen sind bei geringeren Beträgen günstiger als Honorare, nur so können sich viele Menschen Beratung leisten“


– dies stimmt bei kleinen Summen, ist aber z.B. schon bei langfristigen Verträgen häufig ein Scheinargument. Das Honorar erscheint nur höher, weil es sehr sichtbar auf einen Schlag anfällt und man es sich deshalb nicht ‚leisten‘ kann. Oft ist aber der absolute Betrag der über 5 Jahre gezahlten Provisionen schon höher als ein Honorar, z.B. typischerweise €2.000 Provisionen für den Abschluss einer Riester-Rente für ein Verkaufsgespräch von 30 Minuten.


d. „Honorarberater picken sich die Rosinen raus, den vermögenden Kunden. Makler sorgen für die notwendigen Grunddeckungen wie profane Haftpflichtversicherungen“


– impliziert wird, dass Makler sich hier sozial engagieren. Sie machen den Job allerdings nur, wenn er profitabel ist. Sie investieren auch nicht zwei Stunden in eine solche Beratung, das würde sich nicht rentieren. Niemand vermittelt ausschließlich Haftpflichtversicherungen. Dies ist ein Nebenprodukt, um dann andere profitable Versicherungen zu verkaufen, die Rosinen des Maklers

 

2. „In Ländern mit Provisionsverbot ist ein massiver ‚Advice Gap‘ entstanden“ (d.h. Kunden mit wenig Vermögen haben keinen Zugang zu Beratung mehr)

– das stimmt, hier wird allerdings unausgesprochen impliziert, dass es nur die zwei Optionen Honorar und Provision gäbe, und letztere besser und damit Lösung für das Problem sei.


Und das genau ist ja nicht der Fall. Eine qualitativ hochwertige Beratung für eine Anlage von €2.000 rechnet sich in BEIDEN Systemen nicht.


Eine Beratung wird nicht dadurch sichergestellt, dass im Schnellverfahren über Provisionen teure Standardprodukte verkauft werden.


Mögliche Lösungen liegen ganz woanders, z.B. in

- automatisierter & digitalisierter Beratung,

- Robo-Advice,
- modularer Einzelthemen-Beratung zu geringen Fixpreisen,
- betrieblichen Modellen,
- staatlichen Beratungszuschüssen oder -gutscheinen,
- Gruppen-Finanzcoachings oder
- Förderung finanzieller Bildung.

All dies wird in dieser entweder-oder Diskussion weggelassen.


Und, dass laut Studien die Beratungsqualität oberhalb des Advice Gaps in der Honorarberatung wesentlich besser ist.

 

3. „Beide Arten der Beratung führen zu einem (im wesentlichen ähnlichen) Produkt.“

– diese Annahme könnte falscher nicht sein:

a. Es liegt ja gerade im Wesen der Honorarberatung, das sie ergebnisoffen ist, d.h. die Empfehlung kann u.a. sein,

- kein Produkt zu kaufen

- existierende Verträge zu kündigen (ohne neue abzuschließen oder ‚umzudecken‘)

- extrem kostengünstige und effiziente Anlagen wie ETF zu wählen, die für Finanzinstitute nicht rentabel sind


b. Alle genannten Optionen generieren keinerlei Provisionen, und finden deshalb in der Provisionsberatung auch nur sehr selten statt.


Das Ergebnis einer solchen alternativen Beratung kann für den Anleger allerdings dramatisch besser sein.

 

4. In der Betrachtung werden nur die Kosten des ‚Produktes‘ verglichen – häufig werden in der Argumentation Provisionen von €1.000 mit einem Honorar von €1.000 verglichen und gleichgesetzt.

Folgekosten werden komplett außer Acht gelassen:

a. Ein Provisionsprodukt muss nicht nur die €1.000 Provisionen wieder einspielen, sondern zusätzlich vielleicht €2.000 Gewinn für das Unternehmen, sonst wäre es nicht rentabel und würde nicht vertrieben werden.


b. Bei der einer Honorarberatung für €1.000 hingegen besteht darüber hinaus erstmal kein Anreiz oder Notwendigkeit, weitere Gewinne zu erwirtschaften.

Im Gegenteil, der Honorarberater hat ein Interesse, eine Anlage effizient und kostengünstig für den Kunden zu gestalten.

Und dies kann zu einer enorm höheren Rendite führen!

 

5. Opportunitätskosten werden nicht berücksichtigt – der Fokus der Betrachtung liegt häufig auf den sichtbaren Provisionen.
Der ‚Kollateralschaden‘ entgangener Gewinne wird überhaupt nicht berücksichtigt.


Und dieser kann gigantisch sein.

Ein Beispiel:

a. Einem Kunden wird eine Kapitallebensversicherung verkauft, weil diese €2.000 Provisionen einbringt.

Dadurch landet der Kunde allerdings in einem Produkt mit einer sehr geringen Rendite von 1.5%.
Über 20-30 Jahre Laufzeit macht der Vertrag einen Gewinn von €20.000.

b. Ein Honorarberater empfiehlt für das gleiche Honorar von €2.000 einen ETF-Sparplan. Dieser hat eine Rendite von 7%.

Durch den Zinseszins und die lange Anlagedauer über 20-30 Jahre macht der Anleger mit dem gleichen Betrag einen Gewinn von €200.000.

Der Vergleich von €2.000 Provision mit €2.000 Honorar geht völlig am Thema vorbei

der wahre Unterschied ist €180.000!!!
(Ich hatte in meiner Praxis allerdings auch schon Unterschiede von €500.000)

 

6. „Es gibt viele gute ehrliche Provisionsberater, und auch schwarze Schafe in der Honorarberatung. Beide können gut oder schlecht beraten, und auch Honorarberater haben Interessenskonflikte. Man kann nicht pauschal alle schlecht machen, es kommt auf den Charakter an“

a. dem stimme ich zu, man kann nicht 200.000 individuelle Menschen über einen Kamm scheren.


Was man aber absolut kann, ist ein System zu kritisieren, dass systematisch Fehlanreize schafft, die es dem einzelnen Berater schwer machen, gut, unabhängig und im Interesse des Kunden zu beraten, weil – um etwas zu verdienen – immer irgendwo eine Provision und ein Produkt stehen muss.

Wenn man sich darauf verlassen muss, dass jeder einzelne Berater gezwungen ist, für sich alleine mit Charakterstärke gegen finanzielle Fehlanreize zu arbeiten, um das Richtige zu tun, kann das nur schiefgehen.

Warum nicht einfach die Fehlanreize so weit wie möglich minimieren?

b. Viel sinnvoller als Einzelbeispiele (‚Honorarberater hat eine Rechnung von €20.000 gestellt‘, ‚vereinzelt krasse Fehlberatung‘) ist hier eine Wahrscheinlichkeits-Betrachtung.

In welchem System ist es wahrscheinlicher, schlecht zu beraten werden:

– Wenn die Bezahlung transparent ist und offen kommuniziert wird oder intransparent und im Kleingedruckten versteckt ist?


– Wenn systematisch eingebaute Fehlanreize bestehen, oder die Interessenskonflikte zumindest stark minimiert werden?


– Wenn ein Produkt verkauft werden muss, oder nicht im Mittelpunkt steht bzw. überhaupt nicht nötig ist?


– Wenn der Berater das Gleiche wie hunderttausende andere macht und im Strom mitschwimmt, oder wenn er sich aus Überzeugung entschieden hat, Teil einer kleinen recht unbekannten Gruppe von 300-600 Andersdenkenden zu sein, für die es erstmal schwerer ist, Geld zu verdienen und Kunden zu finden?

 

7. „Provisionen sind ein bundesweit und über Ländergrenzen hinaus verbreitetes Modell“
(und deshalb implizit irgendwie erfolgreich / sinnvoll / über Kritik erhaben)


– Ich empfehle, diese Diskussion doch einmal mit einem Finanzberater in Großbritannien oder Niederlande zu führen, in denen bundesweit Provisionen (aus gutem Grund) verboten sind.

Der wird nur mit den Schultern zucken, was in Deutschland ‚Standard‘ ist, und das Argument ist vom Tisch.

Nur weil irgendetwas flächendeckend verbreitet ist, heißt nicht, dass es nicht schlecht sein kann und verboten werden sollte.

Genau das hat die EU-Kommission ja in 2023 versucht, die Initiative wurde aber unter Druck der Finanzlobby vom deutschen Finanzminister verhindert.

Provisionsverbote in Europa

 

8. „Wenn Honorarberatung so gut ist, warum rennen die Mandanten Ihnen dann nicht die Bude ein?“

a. Wie kommt der Provisionsverkäufer zu dieser Annahme?


Die meisten Honorarberater die ich kenne haben sehr viel zu tun, erst kürzlich habe ich mit einem gesprochen, der meinte „Ich habe aufgehört, Artikel in der Zeitung zu schreiben; danach rufen mich immer 20 Leute an, und ich habe für neue Kunden keine Zeit“.

Es gibt nur wenige Honorarberater, und gerade deshalb haben Sie ja viele Kunden.

b. Aber die Hauptgründe, dass es nicht noch viel mehr Andrang gibt, liegen nicht in der Qualität, sondern


- der mangelnden Bekanntheit.

Laut Umfragen wissen ca. 80% der Deutschen gar nicht, dass es diese Art der Beratung überhaupt gibt, da sie ja mit 99,71% Verkauf konfrontiert sind.
Was man nicht kennt, danach sucht man auch nicht.

- Macht der Gewohnheit.

Der Mythos der ‚kostenlosen Finanzberatung‘ wurde seit über 100 Jahren so tief in den Köpfen verankert, dass er von den meisten nicht mehr in Frage gestellt wird,
und deshalb besteht auch wenig aktive Nachfrage nach Alternativen.

- mangelndem Wissen,

wie viel Schaden durch die Provisionsberatung entsteht,
vor allem da entgangene Gewinne und Kosten unsichtbar und lautlos sind, und sich Kosten von 1,5% so gering anhören (in Wahrheit sich aber zu unglaublichen Summen addieren).
 

 

9. „Wenn die Honorarberatung so gut ist, warum wollen Makler dann nicht die Seite wechseln?“

– das ist recht einfach: weil Provisionen für Makler in der Regel lukrativer sind.

Und für die Finanzindustrie.

Aber halt nicht für den Kunden.

Das ist ja genau der Grund, warum die Finanzlobby alles daransetzt, dass das System so bleibt wie es ist.

Weil sie daran Milliarden verdient.

 

10. „Es gibt ein Angebot für beides. Die Kunden können selber frei entscheiden, was sie wählen wollen.“

– das würde stimmen, wenn es beide Angebote in einem ausgewogenen Verhältnis gäbe:

Finanzberatung in Deutschland

Allerdings ein recht absurdes Argument, wenn es das eine Angebot

- nur in 0,29% der Fälle überhaupt gibt,

- es erst seit 2014 existiert,

- es kein Werbebudget, keinen Verband und keine Lobby hat, und daher

- ca. 80% der Menschen völlig unbekannt ist,


wohingegen die Mehrheit von 99,71%


- ein überwältigendes Werbebudget,

- ein flächendeckendes Filialnetz,

- 1.500 Lobbyisten, und

- politische Unterstützung durch Millionen-Parteispenden hat, und

- seit über 100 Jahren fest etabliert ist.

Unter diesen Umständen ist eine ‚freie Entscheidung des Kunden‘ nur ein Scheinargument, und findet in der Realität so gut wie nicht statt.

Daraus abzuleiten, dass Provisionen sich auf einem freien Markt als ‚besser/erfolgreicher‘ durchgesetzt haben, ist genauso absurd.


– Bonus-Argument: „Regulierung ist hier nicht nötig“


Doch, genau in so einem Fall von Marktversagen ist Regulierung nötig, weil der Markt sich bei einem so krassen Missverhältnis nicht von selber regulieren kann (daher auch das Provisionsverbot in UK und Niederlande).

 

11. „Makler arbeiten auch im Auftrag und Interesse des Kunden“

Rechtlich gelten Makler als ‚treuhänderähnliche Interessenvertreter / Sachwalter des Kunden‘ und sind ihm formell verpflichtet, unabhängig zu vergleichen und den am besten geeigneten Vertrag am Markt zu finden
(was sie besser als Versicherungsvertreter macht, die an nur einen Anbieter gebunden sind).

In der Regel werden Makler allerdings ausschließlich durch Provisionen bezahlt, woraus sich strukturelle Interessenskonflikte ergeben, u.a.:


- Fokus auf provisionsstarke Sparten (z.B. Leben) und Vernachlässigung provisionsfreier und -armer Produkte


- Aufgrund laufender Bestandsprovisionen geringe Motivation, bestehende Verträge zu überprüfen


- Nutzung von Vergleichsplattformen, die Anbieter mit niedrigen Provisionen aussortieren oder schlechter listen


Fazit: es kann gute Makler geben, aber die Bezeichnung und der rechtliche Rahmen alleine stellen dies nicht sicher.

 

12. „Wie kommen Sie darauf, dass Makler nicht unabhängig beraten können?“

Weil unabhängige Beratung nicht darin besteht, zwischen Produkt A, B oder C zu wählen. Und ein Produkt muss es beim Makler geben; auch wenn er in manchen Fällen auch mal keins empfiehlt.

Echte Beratung MUSS ergebnisoffen ALLE folgende Optionen aktiv und uneingeschränkt in jedem Fall ermöglichen:

- KEIN Produkt abzuschließen und nichts zu tun
- Bestehende Verträge zu kündigen, OHNE neue abzuschließen

- Produkte ohne Provisionen, extrem kostengünstig und effizient für den Kunden (z.B. ETF, Aktien)

- Lösungen die der Kunde selber günstig online eröffnet
(Discount-Broker, ETF-Sparplan)
- Von Abschlüssen aktiv abraten (z.B. lieber in der GKV zu bleiben)

- Tarifoptimierung OHNE Neuabschluss

- Immobilie als Altersvorsorge (ohne Immobilienmakler zu sein)

- Schulden-/Hypothek-Tilgung, vor irgendetwas anderem

- Aufbau Notgroschen, bevor man investiert


Ein Makler kann einfach nicht alle obigen Optionen bei jeder Beratung empfehlen.

Und warum sollte dies NICHT Teil einer guten Beratung sein?

Ich selber könnte in so einem Provisionssystem auch nicht gut beraten.